1. Wofür ist ein Vater gut?

Hallo Leute.

Sie haben also jetzt den ersten Schritt gewagt und dieses Buch geöffnet, um zu sehen, was es enthält. Tut mir Leid, dass ich sie nicht persönlicher ansprechen kann, aber sie lesen dies natürlich, lange nachdem ich es geschrieben habe und so bin ich im Nachteil. Selbstverständlich weiß ich nicht, ob sie das Buch während einer Heimschul-Konferenz genau unter die Lupe nehmen oder ob sie es aufgrund einer Bestellung aus einem Katalog erhalten haben – oder ob wohl eher ihre Frau es bestellt hat. Es spielt keine Rolle. Was auch der Grund ist, warum sie diese Zeilen lesen, ob sie und ich uns je begegnet sind oder nicht – wir haben eine Menge gemeinsam. Darauf zähle ich, in der Hoffnung, dass es mir helfen wird, ihnen jede nur erdenkliche Information und Ermutigung zu geben, die sie für ihre Aufgabe als Vater brauchen können.

Selbstredend weiß ich auch nicht, ob sie bereits zu Hause unterrichten oder es zunächst nur als Möglichkeit für die Zukunft ins Auge fassen. Es wäre schön für mich, das zu wissen, weil es dann leichter wäre, ihre Situation direkt anzusprechen. Aber wir werden es auch so schaffen.

Wenn wir uns noch nicht begegnet sind – mein Name ist Rick Boyer und auch ich bin Vater. Genauer gesagt bin ich ein Vater von Kindern, die zu Hause unterrichtet werden. Das bin ich jetzt schon 23 Jahre lang, und 17 Jahre davon ein zu Hause unterrichtender Vater. Ich liebe meine Frau und meine Kinder, so wie sie ihre. Deshalb habe ich mir Mühe gegeben, ein guter Vater zu sein, der darauf achtet, was im Familienleben funktioniert und was nicht. Ich habe einige hilfreiche Bücher gelesen, sowie von klügeren Leuten und aus meinen eigenen Fehlern gelernt. Auch meine Frau war eine großartige Lehrerin für mich. Niemand kennt die nötigen Qualitäten in einem Mann besser, als eine Frau.

Im Laufe des Lernprozesses zum guten Vater hatte ich den Vorteil, viele Erfahrungen machen zu können, weil ich eine Menge Kinder habe. Meine Frau Marilyn und ich haben 13 Kinder, wovon 11 immer noch bei uns im Haus leben, eines ist freiwillig in die Welt hinausgegangen und eines ist nach einem Kampf mit der Leukämie jetzt im Himmel. Mein Leben ist nicht immer leicht gewesen, dafür aber lehrreich.

Ich sage das alles nur, weil ich mitfühlen kann, wie sie empfinden, und nicht, weil ich bereits alle Antworten habe. Ganz im Gegenteil. Ich will das schnell zugeben; denn wenn sie sind wie ich, dann zucken sie voller Entsetzen zurück, wann immer sie merken, dass sie etwas von einem Herrn „Vollkommen“ lesen. Sie kennen den Typ. Er ist nie frustriert, verbringt die meiste Zeit mit Bibellese und hat nur reine Gedanken. Seine Frau erhebt ihre Stimme nie über vier Dezibel, versorgt den Familienbesitz immer vorbildlich und beide lieben alles und jeden. Die Kinder gehorchen allezeit tadellos und streiten nie miteinander. Die schmutzigen Windeln des Babys stinken nicht.

Ich kann mit solch einem Burschen in keinem Zusammenhang stehen. Natürlich wäre ich auch gern ein perfekter Ehemann und Vater, aber das bin ich nicht. Ich bin ein einfacher Mensch mit einer schlichten Sündennatur, der ein- oder zweimal in jedem „Zeitalter“ auf die Nase fällt.

Wir haben aber gute Erfahrungen mit Unterricht zu Hause gemacht. Deshalb müssen sie auch keine perfekten Eltern sein, um dasselbe tun zu können. Wenn sie über Heimschule für ihre Kinder nachdenken, aber sich Sorgen machen, dass sie dafür ein Supervater sein müssten, dann vergessen sie es lieber schnell. Sie werden nie vollkommen sein, genauso wie wir anderen auch nicht. Das gilt selbst für die, die es schon eine längere Zeit zu sein meinen. Wir haben alle unsere Schwächen, trotzdem funktioniert das System. Sie brauchen kein Supervater sein.

Die Idee zur Heimbeschulung meiner Kinder kam ursprünglich nicht von mir. Wie bei vielen Familien, so kam sie zuerst bei meiner Frau auf und sie legte es mir vor. Es geschah im Frühling 1980, während ich in der Badewanne lag.

Ich liebe es, mich nach einem harten, arbeitsreichen Tag in der heißen Badewanne durchweichen zu lassen. Mit dem knisternden, ermüdenden Sickern aus jeder Pore in einer komfortablen Benommenheit zu liegen ist meine Vorstellung von Therapie. Diesmal wurde ich aber von meiner Frau unterbrochen, als sie hereinkam und mir ankündigte, sie müsse mit mir reden.

„Ich habe nachgedacht“, sagte sie. „Was würdest du davon halten, wenn ich Ricky nächstes Jahr im Kindergarten zu Hause unterrichten würde? Denkst du ich könnte das schaffen?“

Marilyn strebte gerade einen Lehrerabschluss an, als sie sich anders besann und heiratete. Sie konnte allgemein sehr gut mit Kindern umgehen und kam auch gut mit unseren vier kleinen Jungs zurecht.

„Nun, sicher … äh … warum willst du das tun?“

„Sie dir doch an, was wir gerade tun. Ricky geht drei Halbtage in der Woche zur Vorschule, richtig?“

„Stimmt.“

„Timmy geht zwei von diesen Halbtagen mit.“

„Ja, genau.“

„Nathan und Joshua sind zu jung für die Vorschule, ich kann sie aber nicht zu Hause lassen, wenn ich Rick und Tim zur Gemeinde fahre und dann zu ihnen zurückkehren. Deshalb schnalle ich alle vier Jungen drei Tage in der Woche für zwei Rundfahrten zu je einer Stunde im Auto an. Die armen kleinen Nathan und Josh verbringen jeden Montag, Mittwoch und Freitag zwei Stunden im Auto, nur damit Rick und Tim zwei bzw. drei Halbtrage in der Schule sein können.“

Ich drehte mit einer Zehenbewegung den Heißwasserhahn auf und dachte darüber nach. Wir hatten eine gute christliche Schule in unserer Gemeinde und waren mit dem Lernfortschritt unserer Jungs in der Vorschule zufrieden. Wenn man das Pendeln aber aus der Perspektive meiner Frau sah, hatte man plötzlich eine andere Sicht.

„Das sieht wie viel Fahrerei für ein bisschen Unterricht aus“, gab ich zu.

„Und nächstes Jahr kommt Ricky in den Kindergarten. Dann fahre ich fünf Tage die Woche“, erinnerte sie mich. „Die Babys würden jeden Wochentag zwei Stunden im Auto verbringen müssen. Ich denke, dass es das nicht wert ist, wenn ich den Jungs genauso viel oder sogar mehr zu Hause beibringen könnte.“

Das schien mir ein wenig zu revolutionär zu sein. Heimschule ist heute ein alter Hut, aber 1980 hatte ich noch von keinem gehört, der damit in unserer heutigen Zeit angefangen hätte. Ich dachte, das wäre mit Abraham Lincoln ausgestorben. Bis heute weiß ich von keinem in unserer Nachbarschaft, der zu Hause unterrichtet hätte, als wir damit anfingen. Aber schließlich ging es nur um den Kindergarten. Ganz sicher brauchte niemand einen Lehrerabschluss, um dort zu unterrichten. Außerdem gefiel mir das Überraschende an der Idee, deshalb sagte ich „Ja“.

„Na gut“, sagte ich und fiel in mein Koma zurück.

Der Rest ist Geschichte. Frühling und Sommer kamen und gingen und im Herbst begann Marilyn mit ihrem Kindergarten-Lehrplan für Ricky zu Hause. Nachdem sie das bereits einige Wochen lang getan hatte, entschieden wir, dass es keinen Sinn machte, ihn in die erste Klasse zu schicken. Als die Kindergartenzeit ganz vorüber war, konnten wir nicht erkennen, warum wir überhaupt jemanden von unseren Kindern zur Schule schicken sollten. Das haben wir dann auch nie getan.

Mein Heimschulexperiment startete komplett unvorbereitet. Nun bin ich bereits mehr als 20 Jahre dabei und überzeugt, dass durchschnittliche Eltern großartige Lehrer für ihre Kinder sein können. Mit ein bisschen Fleiß kann man jemand anders etwas beibringen, solange man es selbst verstanden hat. Und wenn man bei den ersten Klassen anfängt, lernt man selbst mit.

In den meisten Familien ist es aber die Mutter und nicht der Vater, die am meisten Unterricht gibt. Scheinbar ist der Morgen für die meisten Leute die beste Zeit für Unterricht und da ist der Vater normalerweise zur Arbeit, obwohl es natürlich etliche Ausnahmen von dieser Regel gibt. Einige Autoren meinen, dass der Vater als Familienoberhaupt am gesamten Hausunterricht teilnehmen sollte und einfach seinen Zeitplan und den seiner Kinder so umstellen sollte, dass dieses Ideal erreicht werden kann. Das klingt gut in der Theorie, aber von meinem Gefühl her wird das für Männer nur selten funktionieren, ausgenommen vielleicht bei den Selbständigen. Am Besten sollte der Mann dafür in einem Beruf, der mit Heimunterricht zu tun hat, arbeiten.

Als die Bewegung in den 1980er Jahren wuchs, wurde der Rolle des Vaters im Heimschulunterricht mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Landesweit wurden „Heimschul“-Konferenzen abgehalten und diese Frage gehörte zu den wichtigsten Themen in Diskussionen und Workshops. Von Anfang an war mir unwohl bei dem, was ich dabei hörte. Uns wurde erzählt, dass wir einen anderweitigen Beitrag zu leisten hätten, weil die meisten Männer nicht zu Hause sein und den Unterricht abhalten könnten. Meist wurde dann vorgeschlagen, dass die Väter nach Hause kommen und einige Routineaufgaben, die sonst von der Mutter erledigt worden wären, übernehmen sollten. Das würde ihr dann mehr Zeit zum Unterrichten geben.

Solche Vorschläge klingen sehr besorgt und demütig, aber ich bezweifle, dass sie viel zum schnellen Wachstum der Heimschul-Bewegung beigetragen haben. Stattdessen behaupte ich, dass es einige Familien gibt, die das große Abenteuer nie in Angriff nahmen, weil eine falsche Erwartungshaltung an den Vater herangetragen wurde. Ein Freund von mir nahm einmal an einem Vortrag über die Rolle des Vaters im Heimschulunterricht von einem Mann teil, der den Raum nicht mit Schlips und Kragen, sondern in T-Shirt und Jeans betrat. Staubtücher hingen ihm aus der Hose und Sprühdosen klingelten an seinem Gürtel. Inspirierend wie Baumwollpflücken. Kein Wunder, dass manche sich nicht für Heimschule begeistern lassen.

Da ich ein tief schürfender und scharfsinniger Philosoph bin, konnte ich durch dieses Täuschungsmanöver nicht in die Irre geführt werden. Die weniger Einfühlsamen mögen getäuscht werden, aber ich nicht. Das war offensichtlich eine satanische Verschwörung, um unschuldige Männer zur Hausarbeit zu verführen.

Die möglichen Auswirkungen sind furchteinflößend. Ich selbst war kaum in Gefahr, weil ich eine brillante junge Ehefrau besaß, die die üblichen Hausarbeiten erledigte und trotzdem genügend Zeit und Energie für die Kinder übrig hatte. Von Natur aus bin ich aber eine hingegebene und barmherzige Seele, die es nicht ertragen kann, andere nutzlos leiden zu sehen. Deshalb war ich trotzdem besorgt.

Ich musste an die Millionen von Kindern denken, deren technischer Unterricht vernachlässigt würde, wenn Väter nicht hinzukämen. Kleine Mädchen werden eines Tages Frauen sein und müssen dann wissen, wie man staubsaugt und Geschirr abspült. Kleine Jungen werden eines Tages Jugendliche sein und wissen müssen, wie man Gras mäht und Autos wäscht. Und was ist mit dem Müll? Ja, ich meine den Abfall. Zahllose Generationen der zivilisierten Gesellschaft haben ihren Kindern unbezahlbare persönliche Qualitäten beigebracht, wie z.B. Sorgfalt, Reinlichkeit, Verantwortlichkeit, Gehorsam, Tatkraft und Durchhaltevermögen bei der Zuteilung von einfachen, aber notwendigen Aufgaben. Und was ist die grundsätzlichste und lehrreichste dieser Aufgaben? Den Müll hinausbringen natürlich! Und einige fehlgeleitete Erwachsene wollen ihnen das nehmen.

Sehen sie doch auf all die sozialen Probleme in Gesellschaften ohne Müll. Lassen sie sich nicht verführen – es könnte hier passieren.

Von einem überwältigenden Sinn staatsbürgerlicher Verantwortung getrieben, wendete ich alle meine Fähigkeiten auf, um die Rolle des Vaters in einer Heimschulfamilie zu definieren. Während meiner Suche nach der richtigen Antwort kam mir die Frage in den Sinn, wie die fehlgeleiteten Massen früher zu einer derart falschen Antwort kommen konnten. Woher kamen diese barbarischen Ideen?

Ich kam zu dem Schluss, dass sie in der Schule gelernt worden waren. Sehr früh bemerkte ich durch meine Heimschulerfahrungen, dass wir Eltern unsere Kinder nach dem unterrichten, was wir selbst während unserer Kindheit erfahren haben. Kurz gesagt neigen wir dazu, unsere Kinder genau so zu lehren, wie wir unterrichtet wurden. Wir sind verschult.

Dieses Syndrom spielt natürlich in den verschiedenen Familien eine unterschiedlich große Rolle. Einige Eltern sind Freidenker, die von sich aus absichtlich schon nach anderen Möglichkeiten suchen, nur um sich zu unterscheiden. Am anderen Ende des Spektrums gibt es Mitläufer, die sich unwohl fühlen, wenn sie die etablierten Wege verlassen sollten. Sie wollen sich „normal“ fühlen oder sie denken einfach nur nie darüber nach, warum sie bestimmte Dinge auf eine bestimmte Weise tun und ob das wohl die bestmögliche Art ist. Natürlich liegen wir alle irgendwo zwischen diesen Extremen. Wir wollen etwas für unsere Kinder verbessern, das sich klar von dem unterscheidet, was ihre Altersgenossen haben, dennoch haben wir eine ganze Reihe von bequemen, vorgefassten Meinungen. Einige dieser Ideen mögen für unsere Sicherheit wichtig sein, z.B. Tests und Noten. Andere haben wir wohl einfach nur nie durchdacht. Dem Kind Arbeit nach seinem Alter zuzuteilen („Nun, er wäre im dritten Lesekurs, wenn er zur Schule ginge“), statt seine Fähigkeiten herauszufinden, mag eine dieser Voreingenommenheiten sein.

Wie ich schon an anderer Stelle geschrieben habe, liegt das Problem in unseren Vorstellungen. Wir sehen die Schule als Bildungsgeber an und denken bei Unterricht immer gleich an Schule. Wenn jemand sie fragt, wie gebildet sie sind, erzählen sie ihm automatisch, wie viele Jahre sie in einer Schule gewesen sind. Selbstverständlich erwerben verschiedene Menschen in einem Jahr auch ein unterschiedlich hohes Maß an Wissen. Der Fragesteller weiß das. Er hat nicht nach ihrem Wissensstand gefragt, sondern wie lange sie in einer bestimmten Institution verbracht haben (das ist ein Scherz, falls sie es nicht gemerkt haben sollten).

Deshalb denken wir über die Rolle des Vaters in der Erziehung so. Wir meinen, Unterricht passiert lediglich während der „Schul“-Zeit. Wir sehen das hauptsächlich als Arbeit mit einem Buch, wenn Vater nicht verfügbar ist, um etwas beizubringen. Wir denken, dass er in diesen Prozess nicht sinnvoll eingebaut werden kann. Deshalb wird dem Vater eine lediglich helfende Rolle zugedacht. Er wird als eine Art Schulhausmeister gesehen, als wenn man Mutter etwas Luft verschaffen müsste.

Aber, wie schon gesagt, bin ich mit dieser Vorstellung nie warm geworden. Weil ich die Bibel als Gebrauchsanweisung des Schöpfers fürs Leben ansehe, suchte ich hier nach einer (Gesetzes-)Lücke – äh, einem Prinzip, das mir in der Aufgabenstellung für einen Vater helfen würde. Danach steckten meine Frau und ich unsere Köpfe zusammen und suchten nach Wegen, die Funktionen eines Vaters auf die spezielle Situation einer Heimschulfamilie anzupassen.

Ich fand heraus, dass die Bibel eine Menge über Väter aussagt. Gott hat eine große Verantwortung auf uns gelegt und denen einige eindrucksvolle Belohnungen versprochen, die ihre Aufgaben treu erfüllen. Außerdem habe ich bemerkt, dass es zwei verschiedene Mitteilungsmöglichkeiten gibt, durch die Gott uns sagt, was wir zu tun haben: er sagt manches direkt zu oder über menschliche Väter und er stellt sich selbst als himmlisches Vatervorbild hin, den wir in unserem Leben zum Wohl unserer Kinder imitieren können. Einiges gebietet er uns zu tun, anderes tut er selbst und gibt uns damit ein Vorbild. In einigen Textabschnitten ist beides enthalten. Andere mögen die verschiedenen Aspekte von Vaterschaft anders als ich sehen, aber ich kam schließlich auf sieben verschiedene Funktionen, die ein Vater in seinem Haus ausüben soll. Dies Buch handelt von diesen Aufgaben und wie sie auf eine Heimschule angewendet werden können.